Familienstammsitz 1480-1787
Das nach der Reformation zu den katholischen Teilen Oberschwabens zählende Rittergut
umfasste lediglich ein Dorf (Biberachzell) und drei Weiler (Asch, Ober- und Unterreichenbach).
Trotz seiner geringen Größe und der folglich geringen grundherrlichen Einkünfte erfolgte
zeitweise eine Aufteilung auf bis zu vier Erben. Nach dem Tod des Johann Wilhelm von
Thürheim 1583 residierte offenbar kein Familienmitglied mehr dauerhaft in Biberachzell.
Obwohl Biberachzell zum Kanton Donau der schwäbischen Reichsritterschaft gehörte, wurden
spätestens seit dem frühen 18. Jahrhundert vehement landeshoheitliche Rechte durch
Vorderösterreich postuliert. Zugleich gelang es den Thürheim - wie für ritteradlige Familien
typisch - auch während der Frühen Neuzeit nicht, sich von den bayerischen Lehensbindungen
gänzlich abzunabeln: Für jegliche Veränderung oder Belastung des Besitzes musste vorab die
lehensherrliche Genehmigung eingeholt werden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
ergingen wiederholt landesherrliche Steuerforderungen aus München, welche durch die Lehensbindung
begründet wurden.
Die Herrschaft wurde nach 1634 nicht mehr real geteilt, sondern fideikomissartig als
Lehenkonsortium verwaltet, während die Thürheimer ihren Lebensunterhalt in österreichischen,
kaiserlichen und kurbayerischen Diensten sowie auch mittels geistlicher Ämter und Pfründen bestritten:
Johann Christoph von Thürheim, zwischen 1528 und 1570 Inhaber von Biberachzell, war als Pfleger der
österreichischen Herrschaft Ehingen-Schelklingen-Berg und somit für die Habsburger tätig. Sein
Urgroßneffe Franz Leopold (1624-1700) wirkte am kaiserlichen Hof als Mundschenk, Kämmerer und
zuletzt als Mitglied des Geheimen Rats. Georg Sigmund Christoph von Thürheim (geb. 1666), ein
Neffe des Vorgenannten, verstarb 1738 in München als kurbayerischer Oberkämmerer.
Der spätere bayerische Staatsminister des Innern, Friedrich Karl von Thürheim (1763-1832,
Amtszeit 1817-1826), verkaufte Biberachzell 1787 an das Reichsstift Kaisheim. Der Verkauf
stand im Kontext einer allgemeinen Tendenz zum Rückzug niederadliger und bürgerlicher Familien
aus der Herrschaftsstruktur Schwabens zugunsten fürstlicher Häuser und der toten Hand (Kirche).
Ursache dieser Entwicklung waren die finanziellen Schwierigkeiten kleiner weltlicher Herrschaften,
die oft mit den geringen Einkünften des zumeist überschaubaren Grundbesitzes und den spezifischen
Belastungen adliger Familien (Erbteilungen, Apanagen, Mitgiften) zusammenhingen.
Grundherrschaft und Untertanen
Ritteradliger Besitz in Schwaben war in der Regel recht klein. Typisch ist daher, dass die Inhaber
von Rittergütern die landwirtschaftlichen Erträge ihrer - zumeist vorhandenen - Eigengüter optimieren
mussten. Dazu diente häufig eine gezielte Peuplierungspolitik sowie vergleichsweise hohe Frondienste.
Auch für Biberachzell lässt sich dergleichen beobachten: Die Herrschaft bestand 1569 aus 61 Feuerstätten;
1773 war die Anzahl der Haushalte auf 91 angewachsen. Dieser Anstieg ist nachweislich nicht auf Zukäufe
von Grundbesitz, sondern auf die Ansiedlung landloser Leute zurückzuführen. Damit sollte sichergestellt
werden, dass genügend Arbeitskräfte zur Bewirtschaftung des herrschaftlichen Eigengutes (Wenenden-Hof)
zur Verfügung standen.
Die Biberachzeller Frondienste waren noch im 18. Jahrhundert täglich und "ungemessen" (also unbegrenzt)
einforderbar. Verglichen mit den Gepflogenheiten der Nachbarherrschaften waren dies relativ harte Bedingungen:
In der vorderösterreichischen Fuggerherrschaft Kirchberg-Weißenhorn wurden die Frondienste in den 1720er
Jahren in Geldzahlungen umgewandelt und somit praktisch abgeschafft. Die Untertanen des Reichsstifts Roggenburg
hatten bereits 1538 eine Begrenzung ihrer Dienste auf wenige Tage im Jahr sowie eine genau Festlegung der
Tätigkeitsarten erreichen können. Während im ebenfalls benachbarten Adelsgut Oberhausen 1719 die Fronen
infolge anhaltender Untertanenbeschwerden abgesenkt wurden, ist für Biberachzell über solche Widerstände
nichts bekannt (was angesichts der schlechten Überlieferung aber nichts besagt). Jedoch wurde noch 1787
der Wert der Biberachzeller Fronen auf jährlich 202 Gulden veranschlagt, was immerhin einem Viertel der
Höhe der grundherrlichen Einnahmen desselben Jahres entsprach und somit auf nach wie vor hohe Fronbelastungen hinweist.